Zerknülltes Papier auf dem Bühnenboden, zwei identische hölzerne Tische, hinter denen zwei Frauen sitzen und Tagebuchseiten beschreiben. Die eine, Judith Büschleb, verkörpert die Frau hinter der unsichtbaren Wand aus Marlene Haushofers Roman „Die Wand”, der dem intimen Kammerspiel zugrunde liegt, die andere, Jana Schmück, Tänzerin, verleiht dem gesprochenen Wort der Protagonistin tänzerischen Ausdruck, spiegelt deren inneren Konflikte und nimmt die Zuschauer mit auf eine bewegende Seelenreise. Der Saal des Jugend- und Kulturzentrums „Zweite Heimat” in Höhr-Grenzhausen war am Freitagabend, 26. Mai, bis auf den letzten Platz gefüllt. Rund 80 Gäste waren der Einladung der literarisch-philosophischen Veranstaltungsreihe „Denkbares“ gefolgt, die seit nunmehr neun Jahren im Rahmen des Kultursommers Rheinland-Pfalz Angebote zum Nach- und Weiterdenken in der Region präsentiert. „Dabei ist der Begegnungscharakter an besonderen ‚Denkorten‘ von zentraler Bedeutung für unsere Reihe“, betonte Martin Ramb in seiner Begrüßung, neben Prof. Dr. Dr. Holger Zaborowski Initiator von „Denkbares“. Was der Titel des Abends „Einsamkeit als Herausforderung“ mit Begegnung zu tun hat, konnte die szenische Tanzperformance zum Roman „Die Wand“, der bereits 2012 mit der Schauspielerin Martina Gedeck verfilmt wurde, eindrucksvoll vermitteln.
Der Roman beschreibt das Leben einer Frau, die durch eine plötzlich auftauchende unsichtbare Wand von der Zivilisation abgeschnitten und ganz auf sich und die sie umgebende Natur zurückgeworfen wird. Fern von der Welt der Menschen löst sich ihre vermeintlichen Sicherheiten allmählich auf und verwandeln sich in ein kosmisches Gefühl, das die Grenzen überschreitet und die Frau mit ihren Tieren und der Natur intensiv verbindet.
„Die Wand“, so betonte Dr. Thomas Schweikert in seiner Einführung, „kann als Symbol für existentielle Lebenssituationen verstanden werden, in denen Barrieren in uns und um uns herum aufgezeigt werden und wir auf uns selbst zurückgeworfen werden. Der Dialog mit anderen Menschen, der Kontakt zum normalen Alltag wird dann oft zu einem schwierigen, manchmal gar unmöglichen Unterfangen“. Gleichzeitig zeige „Die Wand“ aber auch, dass gerade durch existenzielle Lebenssituationen Kraft und Stärke aus uns selbst, aber auch durch einen bisher verstellten und nun neuen Zugang zur Kreatürlichkeit entstehen könne.
Den Darstellerinnen gelang es eindrucksvoll, zentrale Gedanken und Stimmungen des viel gerühmten Romans auf die kleine Bühne der „Zweiten Heimat“ zu zaubern und damit das Publikum zu berühren. Dazu trug sicherlich auch die gut gewählte Soundkomposition von Torsten Ax bei, die den Abend zu einem multiperspektivischen Erlebnis gesteigerter Intimität werden ließ. Eine Begegnung mit der Einsamkeit, die zum Nachdenken anregte, weil sie unsere gängigen Vorstellungen von ihr konterkarierte. Im Anschluss blieben noch viele im Hof des Jugend- und Kulturzentrums und ließen das Erlebte in Gesprächen nachklingen. Allgemein bedauert wurde, dass die Performance nur einmal aufgeführt wird, die durch das Mainzer Förderprogramm „barrierefrei, inklusiv & fair“ in Verbindung mit der Stiftung Kunst, Kultur und Soziales der Sparda-Bank Südwest eG maßgeblich unterstützt wurde.